Hab übrigens aufgrund der vielen Anfragen/fragen, die ich bekommen habe, meine Position zum Thema russische Mobilisierungsflüchtlinge nochmal zusammen gefasst:
-> Unter welchen Umständen sollen andere Länder vor der Mobilisierung fliehende russische Männer als Flüchtlinge aufnehmen?
Ich finde die Haltung der baltischen Länder aufgrund ihrer bereits zu großen russischen Minderheit völlig verständlich. Es gibt schon so viele Russen im Baltikum, dass diese kaum mehr zu integrieren sind, denn Integration kann nur funktionieren, wenn eine Mehrheit eine Minderheit leicht absorbiert, nicht aber, wenn zB ganze Schulen schon russischsprachig sind, Menschen auf der Straße mit Russisch leicht auskommen, am Arbeitsplatz mit anderen Russen arbeiten etc.; diese Parallelgesellschaften bestehen teilweise schon und sind ein gigantisches Problem. Die baltischen Staaten agieren vernünftig.
Das Problem ist allerdings nicht die Maßnahme, sondern die offizielle Argumentation von Seiten der Regierungen. Kollektivschuld, hoffnungsvolles Erwarten, es käme in RU zu einer (demokratischen?) Revolution des Volkes, moralisierendes „du bist böse, weil du eigennützig denkst“ usw. halte ich für komplett fehl am Platz. RU ist nicht Estland und niemand wird in RU eine Revolution erreichen, maximal vielleicht ein zweites Tianaman! Und nur weil in der UA unter großen Opfern eine Maidan-Revolution möglich war und in Belarus nicht, kann man daraus nicht hoffen, dass eine Welle des Volkes den Kreml (Bzw. Putins Wohnort) stürmen würde. Ich denke, dass eine Revolution in RU (wie auch schon 1917) durch die Armee oder den Sicherheitsapparat initiiert werden muss und vermute, dass es in RU schon die reale Chance eines Regimeumsturzes gibt, vor allem wenn sich die militärische Lage für RU immer weiter verschlechtert oder zb bewaffnete Soldaten, vor allem aber höherrangige, zu den Waffen gegen das Regime greifen. Ziel müsste es sein, den Entscheidungsträgern innerhalb des Regimes, die sich durch einen Regimewechsel profilieren könnten, ihre Karrierechancen maximieren könnten etc. gute Rahmenbedingungen zu ermöglichen.
Ein paar (unbewaffnete!!!) IT-Hipster oder Dorfalkoholiker auf der Straße schaffen aber keinen Coup d‘état. Dafür kommen sie aber ins Gefängnis und nützen niemandem mehr was.
Eingezogene können sich auch nicht einfach so gegenüber der ukrainischen Armee am Feld ergeben, weil Wagner-Milizen mit Maschinengewehren auf Deserteure zielen.
In RU zu bleiben ist daher leider genau eines: sinnlose Aufopferung. Für einen sinnlosen Tod im Krieg oder eine sinnlose Haft. Ein Opfer zu erwarten, weil alle Russen als Kollektiv schuld sind halt ich für zynisch, unabhängig davon, ob man früher hätte mehr machen können oder nicht. Ich behaupte keineswegs, dass der Krieg nur Putins Krieg wäre und nicht Russlands. Natürlich ist die breite Bevölkerung aufgrund ihrer extrem idiotischen Passivität, die mich immer schon sehr aufgeregt hat, oder oft ihres widerwärtigen Mitläufertums selber schuld. Ihr habt faschistoide Politik akzeptiert und bekommt jetzt die Rechnung dafür. Allerdings ist Rache kein guter Ratgeber und Allgemeinwohl soll vor Gerechtigkeit stehen. Die komplette Zerstörung Deutschlands im 2. WK mag zwar eine „gerechte Strafe“ gewesen sein, aber hat sie das Leben auf der Weltkugel verbessert? Sicher nicht. Pragmatismus sollte daher im Vordergrund stehen und man sollte sich darauf konzentrieren, wie man den Migrationswille talentierter junger Menschen maximal zum Wohle der Menschheit einsetzen kann.
Weiters: Man stelle sich vor, der Westen hätte in der Zeit der UdSSR den über die Mauer springenden DDR Soldaten, Estnischen Oppositionellen oder einfachen russischen Weltraumingenieuren die Ausreise verwehrt, da sie „im Land bleiben sollten, um das Regime zu stürzen“. Auch wenn es nicht dasselbe ist, so ist die Logik doch ähnlich.
Grundsätzlich soll die Auswanderung daher erleichtert werden. Was ist aber nun mit der Einwanderung? Abgesehen von Ländern mit einer bereits zu großen russischen Minderheit bleibt nämlich noch das Problem, dass viele junge russische Männer westliche Werte nicht teilen (auch verachten), eventuell pro-Putinistische Stimmung im Westen verbreiten könnten, ukrainische Flüchtlinge im Westen drangsalieren könnten oder auf sonstige Weise negativ auffallen könnten. Daher wäre es am besten, RU Emigranten vor allem in dritten Ländern außerhalb der EU unterzubringen, zb Türkei oder Argentinien, da die Menschen dort kaum Bezug zum RU Krieg und somit kein böses Blut haben, man leicht in der Menge untergehen kann, das Land eine lange Geschichte der Immigration aufweist und generell lebenswert ist. Wird auch von manchen, zb dem Ökonom Maxim Mironov empfohlen.
Conclusio: ich finde, große Länder mit verhältnismäßig kleinen russischen Minderheiten sollten absolut emigrationswillige junge Menschen mit halbwegs verwertbaren Fähigkeiten/Ausblick aufnehmen, allerdings so weit wie möglich deren Background überprüfen. Die Entscheidung der baltischen Länder unterstütze ich dennoch vollständig, wie dargelegt allerdings aus anderen Gründen als den im Diskurs im Vordergrund stehenden.